RATGEB-ALTAR / Hans Kloss nähert sich in der Gmünder Johanniskirche dem Wirken und Leiden des Jörg Ratgeb

Schrecklich-schöne Farbenpracht

Hätte nicht HAP Grieshaber 1970 bei der Stiftung seines Ratgeb-Preises, verärgert über das Gmünder Unwissen, die Stauferstadt aus dem Preis verbannt, dann hätte wohl auch Hans Kloss nicht weiter nach der Geschichte des Jörg Ratgeb geforscht. Jetzt hat er sie in einem Flügelaltar zum Leben erweckt, der in der Gmünder Johanniskirche zu sehen ist.
VON HANNA MEID

Alles war ein Zufall: Dass man im Rathaus zeitweilig Zweifel an der Gmünder Abstammung des berühmten Malers hatte, dass der Maler HAP Grieshaber deshalb den Ratgeb-Preis nur zwischen Stuttgart und Pforzheim aufteilte, wo Ratgeb am 8. Juni 1526 durch Vierteilen starb, und dass der Lorcher Maler Hans Kloss noch vor der Wende aus der damaligen DDR ein reich illustriertes Buch über Ratgeb erhielt. Dabei stellte er fest, dass der Künstler in ganz Deutschland bedeutende Werke geschaffen hatte, wie das größte Außengemälde Europas an der Mauer des Frankfurter Katharinenklosters. Dort gibt es inzwischen ein Ratgeb-Museum. In Gmünd hingegen ist er nahezu vergessen.

Ein bisschen Wiedergutmachung steckt also auch in dem Werk, mit dem Kloss Geschichte lebendig macht. Dabei schuf er nicht etwa nur ein Gemälde, sondern einen Flügelaltar mit einem Sockel, auf dem, wie in einem Sarkophag liegend, der Leichnam abgebildet ist. Das zentrale Motiv ist die Hinrichtung des "schwäbischen Kanzlers der Bauernkriege" wie er genannt wurde, in Pforzheim. Von den Akten dieses Ereignisses existiert nur noch der Deckel, mit dessen Inschrift Kloss den Mittelteil einrahmte.

"Ich will nicht Erfüllungsgehilfe der Historiker sein", sagt er, sondern stellt seine eigene subjektive Wahrnehmung dar. So bringt er mit der Draufsicht auf den in der Mitte sich windenden Todeskandidaten und die gleichzeitige Sicht von vorne auf die kräftigen Pferdeleiber, die an ihm zerren, eine ungeheure Dynamik ins Bild. Das Detail liebend, widmet er sich der exakten Darstellung von allegorischen und mystischen Randfiguren oder etwa der Szene, als Ratgeb merkt, dass er sich zu weit nach oben gewagt hat und gleichsam wie Ikarus seine Flügel schmelzen sieht. Die Farben, vorwiegend in Rot, Gelb, Braun und Erdtönen, passen sich überraschend gut an die Malereien des Chorraums in der Johanniskirche an.

Als der Altar am gestrigen Freitag Vormittag aufgestellt wurde, sah Kloss zum ersten Mal die Harmonie. Denn auch das war ein Zufall, dass Münsterpfarrer Robert Kloker gerade jetzt nach einer Möglichkeit suchte, während des Festivals europäische Kirchenmusik den Raum der Johanniskirche zu beleben. "Es soll ein Altar sein für alle Gäste und Bürger, den man von nah betrachten kann und von dessen Ausdruckskraft man sich anziehen lassen darf", so Kloker. Er und der Künstler hoffen, dass der Flügelaltar die Gmünder bewegt, ihren großen Sohn Jörg Ratgeb wieder in ihr Bewusstsein zu rücken.

Quelle: Schwäbische Post 5.6.2004 - www.schwaepo.de